Learning and Development

Umgang mit herausfordernden Rahmenbedingungen

Die Listen mit den Maximen für eine erfolgversprechende Gestaltung und Implementierung von POL sind lang und die Anforderungen erheblich. Oftmals sind die Rahmenbedingungen in einem Modul oder Studiengang aber nicht optimal gestaltet und es soll dennoch mit POL gearbeitet wer-den oder wird bereits mit POL gearbeitet.

Typische problematische Rahmenbedingungen sind zu viele Studierende und damit zu grosse POL-Gruppen, keine zeitlichen Ressourcen für eine Absprache der Tutoren/innen untereinander oder mit den anderen Dozierenden im Modul bzw. Studiengang, suboptimale Koordination mit anderen Lehrveranstaltungen und Lernszenarien, keine hinreichenden Ressourcen für genügend kompetente Tutoren/innen, stark begrenzte Selbststudienzeit, die Unmöglichkeit einer Integration von POL in die Abschlussprüfung, ein nicht aktueller oder qualitativ unzureichender Pool an Problemstellungen und Tutoren/innenleitfäden oder fehlende Kenntnisse über den Kompetenzstand der Studierenden.

Müssen Sie in diesem Fall als Studiengangsleiter/in von einer Implementierung von POL absehen oder das POL gar als Lernmethode abschaffen? Und müssen Sie als Tutor/in resignieren und eine für die Studierenden wie Sie frustrierende Arbeit mit POL einfach hinnehmen?

Unseres Erachtens nicht, da es jeweils Hilfsmittel für Studiengangsleitende wie Tutoren/innen gibt, um mit den beschriebenen typischen suboptimalen Rahmenbedingungen umzugehen:

Wenn in einem Studiengang so viele Studierende studieren, dass es schon von den verfügbaren Räumen her gar nicht möglich ist, genügend POL-Gruppen mit einer sinnvollen Teilnehmer/innenzahl parallel arbeiten zu lassen, ist es auch möglich, die Arbeit mit POL als Studiengangsleitende/r als „Aquarium“ zu planen bzw. als Tutor/in umzusetzen. Das bedeutet, dass ein Teil der Gruppe eine Problemstellung mit POL bearbeitet und die anderen Studierenden ihre Arbeit beobachten und anschliessend ein Feedback geben. Wichtig hierbei ist, dass die beobachtenden Studierenden ganz konkrete und ggf. sogar unterschiedliche Beobachtungsaufträge haben und bei der anschliessenden Feedbackrunde auf der Basis der Rückmeldungen umsetzbare Verbesserungsvorschläge für die Arbeit mit POL erarbeitet werden.
Wenn mehrere POL-Zyklen vorgesehen sind, können die Studierenden auch zwischen der Rolle als Beobachter/in und POL-Praktizierender/m wechseln, damit sie sowohl das Bewerten als auch das Praktizieren von POL lernen.

Wenn sich die Tutoren/innen untereinander oder mit den anderen Dozierenden im Studiengang nicht absprechen können, können die Studierenden die Verknüpfung der Inhalte mit anderen Lehr-/Lernszenarien übernehmen. Bei den meisten Vorgehensweisen für POL ist explizit ein Schritt vorgesehen, in dem das Vorwissen aktualisiert wird. Wenn die Studierenden in diesem Zusammenhang nicht nur eruieren, was sie bereits wissen, sondern auch wo sie das entsprechende Wissen erworben haben, werden nicht nur die Verbindungen mit anderen Lehr-/Lernszenarien ersichtlich, sondern auch eventuelle Widersprüche oder Missverständnisse explizit. Sofern die Studierenden ihr mitgebrachtes Wissen schriftlich festhalten, können sie dies in Form eines Mindmaps tun und damit eine Fachlandkarte zur Problemstellung erstellen. Diese Fachlandkarte können sie am Ende der Arbeit mit POL um das neu erworbene Wissen ergänzen.
Und sie können sie in anderen Lehr-/Lernszenarien weiter verwenden, um das Wissen zu einer bearbeiteten Problemstellung auf einen Blick verfügbar zu haben.

Ideal ist, wenn in der Zeit, in der die Studierenden Informationen zur Problemstellung suchen, Lehrveranstaltungen angeboten werden, die derartige Informationen zur Verfügung stellen. Wenn das nicht möglich ist und die Studierenden Informationen dennoch nicht nur aus der Literatur, sondern auch aus Lehrveranstaltungen mitbringen sollen, kann man auf elektronische Hilfsmittel zurückgreifen:
Vorlesungen lassen sich als podcast aufnehmen und den Studierenden als Video zur Verfügung stellen. Praktische Tätigkeiten lassen sich zumindest partiell durch skills labs oder onlina tutorials mit Videos und Arbeitsaufträgen ersetzen. Seminaristische Veranstaltungen mit dem Ziel der kritischen Diskussion von Fachthemen können Studierende mit angemessenen Hilfsmitteln (Arbeitsaufträgen, Checklisten, Bewertungskriterien etc.) auch ohne eine/n Dozenten/in durchführen.
Wichtig ist, dass die Studierenden sich bei Einzelarbeiten anschliessend über die Ergebnisse austauschen und bei allen nicht durch Dozierende begleiteten Lernaktivitäten ein Feedback zur Qualität ihrer Arbeit erhalten können.
Eine hervorragende Unterstützung hierfür bieten Softwarelösungen wie EPASS (https://www.epass.eu/en/). Hier können Bewertungskriterien für die Qualität ausgeübter Lernaktivitäten passgenau zur Lernaktivität eingegeben werden. Studierende können sich dann selbst einschätzen und ihre Selbsteinschätzung später mit einer Lehrperson besprechen. Wenn sie ihre Tätigkeiten begleitend auf Video aufgenommen haben besteht für die Lehrpersonen sogar die Möglichkeit, die Selbsteinschätzung um ihre eigene Einschätzung zu ergänzen oder wenn nötig zu korrigieren.

Oftmals ist es schwierig, genau dann wenn die Studierenden eine Problemstellung bearbeiten, eine/n Experten/in als Tutor/in freizustellen.
Wenn nicht genügend Dozierende zur Verfügung stehen, die bezüglich der von den Studierenden bearbeiteten Problemstellungen genügend Fachexpertise mitbringen, um die von den Studierenden erarbeiteten Informationen bzw. Lösungsvorschläge qualitativ zu beurteilen, müssen gute Tutoren/innenhandbücher zu den Problemstellungen erstellt werden. In ihnen sollten die wichtigsten relevanten Informationen, mögliche Lösungen und eine aktuelle Liste mit weiteren Informationsquellen festgehalten werden. Darüber hinaus benötigen Tutoren/innen in diesem Fall mehr zeitliche Ressourcen für die Vorbereitung auf den POL-Zyklus, weil sie das Tutoren/innenhandbuch vorab durcharbeiten müssen.
Wenn der Tutor/die Tutorin nicht Fachexperte/in ist, ist er oder sie bei der Begleitung des POL-Zyklus in Bezug auf die Wahl der eigenen Rolle eingeschränkt (s. Subseite Prozessbegleitung): Er oder sie kann nur als Coach oder Moderator/in agieren, nicht als Experte/in oder Lehrperson zum Thema. Das kann für Studierende ein Vorteil sein: Wenn die Tutorin/der Tutor jedes Mal nur sagen kann „das müssen wir wohl alle noch einmal nachschlagen“ anstatt inhaltliche Korrekturen oder ergänzende Informationen anzubringen, sind sie automatisch wesentlich selbstständiger bei der Bearbeitung der Problemstellung. Allerdings sollte in einem solchen Fall genügend Zeit für die POL-Zyklen und das Selbstudium vorgesehen werden.

Stark begrenzte Selbststudienzeit kann mehrere Ursachen haben. Es kann sein, dass ein Studiengang so viele Präsenzveranstaltungen beinhaltet, dass den Studierenden sehr wenig Zeit für Selbststudium bleibt. Es kann aber auch sein, dass der geforderte Workload in den von den Studierenden parallel zu absolvierenden Lehrveranstaltungen jeweils so hoch ist, dass die Studierenden ihn in der Gesamtsumme gar nicht bewältigen können. Oder es kann sich um einen Studiengang handeln, in dem viele Studierenden begleitend berufstätig sind und/oder familiäre Verpflichtungen haben.
In diesem Fall bietet es sich an, den Studierenden Hilfestellungen für das Auffinden relevanter Informationen zur Verfügung zu stellen und als Tutor/in bzw. mit Hilfe des Tutoren/innenhandbuchs die Anzahl der Lernfragen auf die wesentlichen einzuschränken. Darüber hinaus benötigen die Studierenden viel Unterstützung bei der Formulierung der Lernfragen, damit diese so präzise und der Problemstellung angemessen sind, dass die Studierenden auch mit begrenztem Zeitbudget zu befriedigenden Informationen bzw. Lösungsvorschlägen und damit einem Erfolgsgefühl kommen.

Wenn Studierende im Rahmen eines Studiengangs mit POL arbeiten sollen, es aber nicht möglich ist, eine POL-Sitzung als Teil der Prüfung zu gestalten, ist das Risiko hoch, dass die Studierenden die Arbeit mit POL als nicht qualifikationsrelevant ansehen und sich dementsprechend wenig engagieren.
In diesem Fall bietet es sich an, Problemstellungen in andere Prüfungsformen aufzunehmen und nicht nur die Lösungsvorschläge der Studierenden, sondern auch die Lösungswege zu beurteilen. Bei einer mündlichen Einzel- oder auch Gruppenprüfung ist das relativ problemlos, da die Lehrperson den Lösungsweg der Studierenden erfragen oder beobachten kann. Doch selbst bei einer multiple-choice-Prüfung ist es möglich, nicht nur Lösungsvorschläge, sondern verschiedene Lösungswege zur Wahl zu stellen.
Wichtig ist, dass Studierende in einem solchen Fall von Beginn an wissen, dass der POL-Prozess nicht in POL-Form geprüft wird, das Problemlösen aber in anderer Form geprüft wird.

Eine Erfolg versprechende Arbeit mit POL bedarf einer hinreichenden Anzahl an gut aufgearbeiteten Problemstellungen zu den wichtigsten fachlichen Herausforderungen, damit Tutoren/innen die für die Studierenden passendste Problemstellung auswählen können.
In diesem Fall kann auf unbearbeitete reale Problemstellungen zurückgegriffen werden. Diese kann die Tutorin / der Tutor mitbringen, aber auch die Studierenden, sofern sie bereits Praxiserfahrung haben. Letzteres ist besonders motivierend für die Lernenden, da sie die Problemstellung erlebt haben und daran interessiert sind, eine derartige Situation bei einem nächsten Mal möglichst erfolgreich zu bewältigen. Es kann auch auf schriftliche oder Videodokumentationen (im Bedarfsfall anonymisierter) realer Problemstellungen zurückgegriffen werden. 
Inzwischen gibt es für diverse Fachgebiete auch als e-learning-Module aufgearbeitete Problemstellungen (z.B. https://www.instruct.eu/de/casus-software/casus-lernmanagement/ für die Human- und Tiermedizin). Damit die Studierenden sich hinreichend auf den Lösungsweg konzentrieren können ist allerdings wichtig, dass derartige Problemstellungen nicht als solche mit einer „richtigen“ Lösung dargestellt sind und die Studierenden auf die möglichen Lösungen nicht zugreifen können, während sie die Problemstellung bearbeiten.

Wenn es bei der Vorbereitung eines POL-Zyklus nicht möglich ist herauszufinden, welche Kompetenzen und Kenntnisse die Studierenden bereits mitbringen, muss der Tutor/die Tutorin bei der Begleitung des POL seine Rolle flexibel gestalten können: wenn die Studierenden nicht hinreichend Kenntnisse und Kompetenzen mitbringen um die Problemstellung Erfolg versprechend bearbeiten zu können, muss er oder sie ihnen zu Beginn der Problembearbeitung so weit helfen, dass sie das Problem dennoch angemessen analysieren können. Verfügen sie über mehr Kompetenzen und Kenntnisse als erwartet kann es sein, dass sie das Problem nur noch als „Aufgabe“ sehen (https://phzh.ch/MAPortrait_Data/91919/22/1203_claude_m%C3%BCller_definitiv.pdf, S. 27), d.h. als eine ohne zusätzliche Informations- oder Lösungssuche zu bewältigende Herausforderung. In diesem Fall muss der Tutor/die Tutorin die Problemstellung komplexer gestalten oder auf eine anspruchsvollere Problemstellung zurückgreifen können.

Als „Vorform“ zur eigenständigen Arbeit mit POL kann der Tutor/die Tutorin mit Impulsunterricht arbeiten, d.h. die Lernenden jeweils nach einem kurzen Vortrag zu jedem Schritt an einer Problemstellung weiterarbeiten lassen (Reusser 2005, S. 171f.). Eine andere Möglichkeit ist, Teilprobleme komplexer Problemstellung stufenweise in wechselnden Kleingruppen bearbeiten und anschliessend im Plenum austauschen zu lassen (ebd.).