Learning and Development

Problemaufgaben gestalten

Es gibt zwei Möglichkeiten, Problemaufgaben zu entwickeln: entweder aus Qualifikationsprofil des Studiengangs und den Learning Outcomes zum Thema oder aus der Praxis.

Problemaufgaben aus dem Qualifikationsprofil ableiten

Wenn Sie eine Problemaufgabe aus den Learning Outcomes zum Thema entwickeln möchten, gilt es als Erstes zu überlegen, was die Lernenden laut dem Qualifikationsprofil (d.h. den Kompetenzen, über die die Lernenden am Ende des Studiengangs oder Moduls verfügen sollen).

Learning Outcomes definieren

Das Procedere zur Definition von Learning Outcomes finden Sie auf der Unterseite zu Learning Outcomes. Anschliessend gilt es die hieraus zentralen Learning Outcomes zu formulieren und diese in eine hierarchische Gliederung zu bringen. Möglicherweise müssen Sie im weiteren Verlauf der Konstruktion einzelne Learning Outcomes in andere Lehr/Lernformen oder andere Problemaufgaben „auslagern“, um die Problemaufgabe nicht zu überladen und damit die Lernenden zu überlasten. Nicht alle Lernziele und Inhalte können am effektivsten im Rahmen des POL erworben werden. Es gibt auch andere Lehrformen wie Vorlesungen, Praktische Übungen, Praktika, Projekte, Prüfungen, Selbststudium, Lernumgebungen… Hilfreich ist, dem POL insbesondere die Lernziele und –inhalte zuzuordnen, die bei dieser Lernform am effektivsten bzw. nachhaltigsten erworben werden können.

Systematisierung der Inhalte

Nun stellt sich die Frage, welche Inhalte den Lernenden begegnen sollten, damit diese die Lernziele erreichen können. Hier geht es nicht nur um „Inhalte“ im engeren Sinne, sondern auch um logische Zusammenhänge oder Argumentationsweisen im Fach.
Bei der Auswahl der Inhalte sollte unbedingt vom Vorwissen und von den Interessen der Lernenden ausgegangen werden.
Auf der Basis der Inhalte kann nun ein erstes Brainstorming zu möglichen Themen für Problemaufgaben vorgenommen werden.

Formulierung der Problemaufgaben

Nun gilt es die Problemaufgabe zu formulieren:

  1. Entscheiden Sie, wie viele Problemaufgaben die Lernenden benötigen, um alle zentralen Learning Outcomes erreichen zu können.
  2. Entscheiden Sie, welchem Aufgabentypus die Aufgabe(n) entsprechen sollten.
  3. Wählen Sie pro Problemaufgabe einen für die Problemstellung möglichst exemplarischen Sachverhalt.
  4. Erstellen Sie pro Problemaufgabe eine inhaltliche Skizze.
  5. Definieren Sie Schlüsselwörter, die den Lernenden helfen werden, die relevanten Aspekte der Problemstellung zu erkennen.
  6. Formulieren Sie die Problemaufgabe aus.
  7. Erstellen Sie einen Tutoren/innenleitfaden, der für die zentralen Informationen zur Problemaufgabe enthält, so dass betreuende Lehrpersonen sich auf die Unterstützung der Lernenden vorbereiten können. Ein Tutoren/innenleitfaden soll nicht nur die Vorbereitung für Lehrpersonen erleichtern, sondern auch sicherstellen, dass verschiedene Lernendengruppen die gleichen zentralen Inhalte erarbeiten.
  8. Definieren Sie, wie viel Zeit die Problembearbeitung für die Lernenden wahrscheinlich benötigen wird und welche räumlichen Voraussetzungen gegeben sein müssen.
  9. Entwickeln Sie ein Assessment zur Feststellung der Lernerfolge der Lernenden in Bezug auf die Problemaufgabe.

Evaluation der Problemaufgabe(n)

Evaluieren Sie die Problemaufgabe: vor dem Einsatz sollte die Problemaufgabe von Fachkundigen wie Lernenden erprobt werden. In der Regel gilt es dann noch einmal einzelne Aspekte wie das Anspruchsniveau der Aufgabe oder sprachliche Unklarheiten zu überarbeiten.

Problemaufgaben aus der Praxis ableiten

Eine Alternative zur Konstruktion von Problemaufgaben ausgehend von Lernzielen ist eine Auswahl aus der Praxis und die anschliessende Bearbeitung.

Problemauswahl

Wählen Sie ein typisches Problem aus dem Berufsalltag oder einer Anwendungssituation zur Thematik aus, zu der die Lernenden etwas lernen sollen. Das Problem sollte möglichst viele typische Elemente bzw. Themenfelder des Lerngebiets beinhalten. 

Beispiel (Didaktik)
Thematik: Unterrichtsstörung
Formen: Unangemessene Beteiligung (zu viel, zu wenig), Regelverstösse (Abschreiben, …), 
Abgelenktheit, Desinteresse, Ablehnung
Typische erlebte Situation an der Hochschule: Schweigende Gruppe im Seminar

Problemanalyse

Wie äussert sich das Problem, welche Elemente haben zu seinem Entstehen beigetragen, welche grundlegende Problemstruktur ist darin erkennbar, welche Konsequenzen hat es?

Beispiel (Didaktik, ff)  
keine Antworten auf Fragen, keine Beteiligung an Diskussionen, kein freiwilliges Melden für Referate oder andere Aufgaben, …
Mögliche Ursachen:
- Die Erfahrungen der Lernenden wurden nicht aufgegriffen. So konnten sie nichts zur Interaktion beisteuern und fühlten sich ggf. nicht ernstgenommen.
- Es wurde kein Bezug zu aktuellen oder zukünftigen Anwendungssituationen der Thematik hergestellt. So erschien das Thema für die Lernenden ggf. nicht interessant und des Engagements wert.
- Das Thema, das Ziel oder das Vorgehen in der Interaktion waren unklar oder für die Lernenden nicht verständlich. So wussten diese nicht, wann und wie sie sich sinnvoll beteiligen sollten.
- Die Lehrperson hat zu viel Verantwortung für die Interaktion übernommen und die Lernenden sind damit in einer passiven oder gar oppositionellen Rolle.
- Ungünstige Rahmenbedingungen sind nicht thematisiert worden. So konnten die Beteiligten sich nicht darauf einigen, ob sie diese akzeptieren und dennoch gemeinsam arbeiten oder ob sie diese ändern wollten.
- ...

Definition der Learning Outcomes

Legen Sie unter Rückgriff auf das Qualifikationsprofil fest, was die Lernenden nach der Bearbeitung der Problemaufgabe verfügen sollen.

Beispiel (Didaktik, ff.)
- Lehr-/Lernsituationen so gestalten, dass Ursachen für Störungen möglichst nicht gegeben sind (Erfahrungen und Vorkenntnisse einbeziehen, Anwendungsbezug herstellen, klare Definition von Thema, Ziel und Vorgehen, klare und angemessene Rollen, Rahmenbedingungen angemessen gestaltet bzw. thematisiert)
- Ursachen für Störungen erkennen
- passende Strategien zur Überwindung von Störungen auswählen

Anpassung/Typisierung der Problemaufgabe

Verallgemeinern, bereichern oder verknappen Sie die Problemaufgabe so, dass alle wichtigen Informationen, aber auch nur noch Informationen darin enthalten sind, die für die Lernenden für die Problembearbeitung relevant sind.

Beispiel (Didaktik, ff.)
- Proseminar, 9. Sitzung. Nach einem Impuls der Lehrperson zweimal 20 min studentisches Referat und dann 10 min Fragen der Kommilitonen/innen. Wie in den letzten Sitzungen auch schon kommen keine Fragen der Lernenden. Sie stellen selbst eine Frage. Diese wird vom Referenten/der Referentin beantwortet. Danach herrscht wieder Schweigen.

Erforderliche Informationen definieren

Überlegen Sie, welche Informationen die Lernenden ausgehend von ihrem Vorwissen benötigen könnten, um das Problem zu lösen.

Beispiel (Didaktik, fff)
- Literatur über Störungen im Unterricht
- Literatur über aktivierende Unterrichtsmethoden
- Literatur über intrinsische Motivation
- Literatur über die Rolle einer Lehrperson als Coach einer lernenden Gruppe
- …

Informationswege klären bzw. -ressourcen definieren

Finden Sie heraus, wo und wie gut die Lernenden die Informationen finden können. Stellen Sie ggf. Informationsquellen zur Verfügung (besonders bei Zeitknappheit oder schwer zu beschaffenden Informationen):

Beispiel
- externe Referentin/externen Referenten
- Interviews mit Lernenden auf Video
- Literaturliste
- Apparat
- …

Evaluation der Problemaufgabe

Hier gilt das gleiche Procedere wie bei der Ableitung einer Problemaufgabe aus dem Qualifikationsprofil.

Wie auch immer Sie die Aufgabenstellung gestalten, folgenden Qualitätskriterien sollte sie gerecht werden:

  • «Offenheit (…):
    Stimulation von Denken, Analysieren, Schlussfolgerungen. Steigerung von kognitiven Fähigkeiten bei der Korrelation von Zusammenhängen» zwischen unterschiedlichen Sub-Fachgebieten.  Offenheit sollte auch die Aufgabenformulierung gewährleisten: es gilt zu eindeutige Arbeitsaufträge oder einen Hausaufgabencharakter, bei dem nur bereits bekannte Lösungen abgerufen werden müssen (s. Euler und Hahn 2007, 112), zu vermeiden, denn an realen Problemen steht auch nicht angeschrieben, wie man mit ihnen umgehen soll (s. Müller 2013, 61)[1]. Slemeyer nennt daher Unvollständigkeit bzw. Widersprüchlichkeit als Qualitätsmerkmal für Problemaufgaben (https://dbs-lin.ruhr-uni-bochum.de/lehreladen/lehrformate-methoden/problemorientiertes-lernen/aktivierung-von-Lernenden-durch-problemorientiertes-lernen/, 7.1. 2020).
  • «Autonomie (…):
    Sicherstellen des selbstbestimmten Lernens. Stimulieren von Eigenarbeit und Literaturrecherche.» Lernende sollten «hierbei mit verschiedenen Quellen konfrontiert sein, um induktives Schlussfolgern zu lernen.» 
  • «Reichhaltigkeit (…):
    Anwendung von vorhandenem Vorwissen. Ermutigung zum angemessenen Gebrauch bestehenden Vorwissens.» Anregung zur Recherche in unterschiedlichen Subdisziplinen und zum Hinausgehen über den konkreten Fall.
  • «Attraktivität (…):
    Vorgeben eines realistischen Kontextes. Stimulieren des Interesses der Lernenden durch einen konkreten (…) Fall, das Szenario sollte attraktiv und realitätsnah sein», um die Verbindung von einer komplexen Situation zu verschiedenen fachlichen Themengebieten zu ermöglichen.[2] 
  • «Abdeckung von Inhalten (…):
    Zur Entdeckung von Ausbildungszielen führen. Abdeckung von zuvor in vernünftiger und konkreter Weise spezifizierten Ausbildungszielen. Ein passendes Problem deckt Ausbildungsziele ab und bedient sich eines stimulierenden Szenarios.»
  • «Wissbegierde (…):
    Wecken von Neugierde.  Ermutigung zur Identifikation eines Lerngegenstandes, der die vorgeschriebenen Gegenstände vertieft und dadurch die Neugierde zum Wissenschaftlichen Arbeiten weckt. Initiieren einer Haltung für den Fortschritt des Lernenden in der Wissenschaft.»
  • «Relevanz (…)»:
    Bezug zur aktuellen gesellschaftlichen Praxis und deren Herausforderungen bzw. zum (Berufs)Alltag.
  • «Kontext (…):
    Sicherstellung detailgetreuer Zusammenhänge.  Sicherstellung, dass das (…) Szenario im Kontext in eine realistische Geschichte eingebunden wird.» Ziel dessen ist, ein gemeinsames Verständnis über den Zusammenhang zu schaffen (Müller 2013, 61f)
  • «Fachspezifisches «Encodieren (…):
    Auswahl eines passenden Vokabulars», Alltagsbegriffe statt Fachtermini sofern die Akteure im Szenario keine Fachvertreter/innen sind
  • Angemessene Komplexität:
    Die Komplexität der Aufgabenstellung sollte dem Vorwissen und den Kompetenzen der Lernenden entsprechen. Wie viel insbesondere an Offenheit, Autonomie und Reichhaltigkeit Sie in die Aufgabenstellung integrieren, hängt also wie angesprochen von Vorwissen wie Kompetenzen der Lernenden und den beschriebenen Zielsetzungen und damit Gestaltungsalternativen für Aufgabenstellungen ab.