Learning and Development

Mögliche Zielsetzungen

Problemorientiertes Lernen eignet sich empirischen Studien zufolge insbesondere dafür, um

  • Problemlösekompetenz aufzubauen,
  • anwendbares Wissen zu erwerben,
  • sich berufliche Fertigkeiten anzueignen,
  • Lernmotivation aufzubauen,
  • Sozialkompetenz, kommunikative Kompetenz und die Fähigkeit zur Teamarbeit zu schulen sowie
  • die Fähigkeit zum selbstgesteuerten Lernen zu verbessern (Reusser 2005, S. 178f.).

Darüber hinaus sollen die Lernenden bei ihrer Auseinandersetzung mit der Aufgaben- bzw. Problemstellung konkrete Learning Outcomes erreichen, d.h. „Lernergebnisse“ wie Fachbegriffe im Kontext der Problemstellung erklären, Methoden auf sie anwenden, die Problemstellung analysieren oder Massnahmen zur Lösung bewerten bzw. kreieren können.

Für den Erwerb von Grundlagen- und Überblickswissen eignet es sich weniger als andere Lernformen. Das bedeutet: Problemorientiertes Lernen ist kein „Patentrezept“ für alles, was Lernende lernen sollten. Es bietet sich daher an, in einem Studiengang eine angemessene Mischung an disziplinär-systematischen und problemorientierten Lehr-/Lernszenarien anzubieten (Reusser 2005, S. 179).

Learning Outcomes für POL müssen folgende Qualitätskriterien erfüllen:

  • Es muss ein für die Lernenden erkennbarer Mangel an Wissen und Können in Bezug auf sie bestehen, d.h. die Lernenden müssen erkennen können, dass ihnen hier etwas fehlt.
  • Die Learning Outcomes sollten möglichst weitgehend den genannten Hauptzielen von POL entsprechen. Definieren Sie möglichst keine isolierten „Wissensziele“, sondern legen Sie den Schwerpunkt auf die Problembearbeitung bzw. -lösung. Seitens der Lernenden aufzufindende Fakten sind nur ein erforderliches Element des Problembearbeitungsprozesses. Wichtig sind insbesondere, dass die Lernenden lernen Wissenslücken zu realisieren und sich davon ausgehend strukturiert und effektiv Information zu beschaffen, um die Wissenslücken zu schliessen.
  • Es muss für die Lernenden erkennbar sein, dass sie dieses fehlende Wissen und Können für die in der Problemstellung beschriebene Praxis brauchen.
  • Die Lernenden müssen sich darüber im Klaren sein können, dass es sinnvoll oder sogar zwingend erforderlich ist, diese Wissens- und Könnenslücken genau zum aktuellen Zeitpunkt durch Selbststudium zu füllen (s. Huenges 2003, S. 29).

Der kompetente Umgang mit komplexen Problemstellungen ist für Menschen eine grosse Herausforderung. Er wird aber immer wichtiger, da die Menschheit mit immer mehr und immer dringender zu bearbeitenden komplexen Problemstellungen konfrontiert ist, die zumindest zu einem Teil durch den inkompetenten menschlichen Umgang mit komplexen Problemstellungen entstanden sind. Das Problem unseres steigenden Energiebedarfs zum Beispiel haben wir weltweit noch nicht sinnvoll lösen können, sondern produzieren immer noch mehrheitlich Energie, indem wir die für die Produktion erforderlichen Ressourcen für kommende Generationen erschöpfen und unsere Umwelt so massiv schädigen, dass das Wohlergehen dieser kommenden Generationen mehr und mehr in Frage steht (Klimawandel, Verlust an Biodiversität, Umweltverschmutzung, …). Es ist also von zentraler Bedeutung, dass die jetzt an den Hochschulen lernende Generation lernt, komplexe Probleme kompetent zu lösen und nicht mehr so, dass die „Lösungen“ immer wieder neue Probleme schaffen.

Dietrich Dörner hat mit Kollegen seit den 1970-ern den menschlichen Umgang mit komplexen Problemen untersucht. Die Forscher haben folgende Eigenschaften komplexer Problemstellungen herausgearbeitet, mit denen wir Lernende konfrontieren sollten, wenn wir sie dabei unterstützen möchten, komplexe Probleme lösen zu lernen:

  1. grosse Anzahl an Variablen (Komplexität)
  2. Variablen, die sich gegenseitig beeinflussen und so unerwartete Nebenwirkungen und Spätfolgen mit sich bringen (Vernetztheit)
  3. Veränderungen auch ohne Eingriffe (Eigendynamik)
  4. die Zusammenhänge und Wechselbeziehungen zwischen den Variablen sind nicht oder nur teilweise bekannt bzw. beobachtbar (Intransparenz)
  5. mehrere und teilweise widersprüchliche Ziele müssen erreicht werden (Polytelie), was zu Zielkonflikten führt. Die Ziele sind darüber hinaus unklar oder vage, was eine Konkretisierung erforderlich macht.

Als Aufgabenstellung haben die Forscher z.B. "Lohhausen" gewählt, eine Computersimulation einer Kleinstadt, die vor diversen Herausforderungen wie Wohnungsmangel, Jugendarbeitslosigkeit und Produktionsreduktion der grössten Fabrik und damit Einnahmequelle steht. Die Versuchspersonen mussten sich als Bürgermeister/in für Massnahmen entscheiden und bestimmen, nach welchem Zeitraum sie die Resultate ihrer Entscheidungen sehen wollten. Die Massnahmen wie der Zeitraum wurden in die Computersimulation eingespeist und die Versuchspersonen mussten dann mit den Ergebnissen weiterarbeiten. Als Ergebnis der jahrelangen Auswertung des Experiments stellte sich heraus, dass keine der Versuchspersonen die Probleme der fiktiven Kleinstadt wirklich befriedigend hatte lösen können und alle mit einer Erhöhung der Ausgaben neue Probleme geschaffen hatten.

Es stellte sich aber heraus, dass es bessere und schlechtere Problemlöser gab. Die besseren Problemlöser setzten klare Prioritäten auf die wichtigsten Probleme und für diese langfristige Ziele, blieben dann auch ausdauernd bei der Bearbeitung dieser Probleme, ergriffen für die Lösung diverse unterschiedliche Massnahmen, trafen also häufig Entscheidungen und überprüften ebenfalls häufig, welche Effekte diese Entscheidungen hatten. Darüber hinaus reflektierten sie ihr Denken und Vorgehen häufig und dachten über Ursachen-Wirkungszusammenhänge nach. Das bedeutet: sie generierten gezielt Wissen über die Funktionsweise des „Systems“ Lohhausen, handelten konsequent und beobachteten wie reflektierten genau, welche Konsequenzen Eingriffe in dieses System hatten. Darüber hinaus blieben sie sachlich, emotional ruhiger und bewahrten sich ein selbstkritisches Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit.

Wenn wir die Kompetenz zum Lösen komplexer Probleme fördern möchten, sollten wir Lernenden nicht nur komplexe Aufgabenstellungen geben, sondern sie bei gezielter Wissensgenerierung und Konsequenzenanalyse von Teillösungen unterstützen. Das spricht dafür, die Lernenden die Bearbeitung komplexer Problemstellungen arbeitsteilig sowie kleinschrittig angehen zu lassen und sie in einer Vorgehensweise wie Grundhaltung wie der der „guten Problemlösenden“ im Lohhausenexperiment zu unterstützen. Wichtig ist, die Lernenden bei der Problembearbeitung daran zu hindern, in einen Zustand der Überforderung zu geraten und in Folge das eigene Handeln und seine Auswirkungen auf das Problem nicht mehr zu reflektieren, Entscheidungen zu viel oder gar nicht mehr zu planen oder in Passivität bzw. „Reparaturdienstverhalten“ zu verfallen. Damit dies nicht zu wahrscheinlich wird, gilt es die Komplexität der Aufgabenstellung so anzupassen, dass die Lernenden zwar die Eigenschaften komplexer Problemstellungen kennenlernen, aber noch eine Chance haben, sie kompetent zu bearbeiten.

Problemlösen ist eine Handlung. Das bedeutet viererlei (Funke 2003, S. 95f.):

  1. Ein Mensch der ein Problem löst, tut dies mit Absicht und zielgerichtet („intentional“). Er übernimmt damit Verantwortung und kann für sein Tun und dessen Ergebnisse auch zur Verantwortung gezogen werden. Das ist wichtig für Lernende, die ihre Arbeit beim POL ggf. als „noch nicht die wirkliche Praxis“ auffassen und deswegen nicht so ernst nehmen. In diesem Fall ist wichtig, dass sie sich darüber im Klaren werden, dass sie im späteren Berufsleben für eine ähnliche Handlung wie sie sie beim POL vollziehen dann zur Verantwortung gezogen werden. Und dass sie jetzt die Chance haben, das Problemlösen so einzuüben, dass es ihnen im späteren Berufsleben auch gelingt.
  2. Ein Mensch, der ein Problem löst, kontrolliert sein Handeln. Eine Handlung unterscheidet sich damit nicht nur von (nicht oder sehr begrenzt steuerbarem) Verhalten (wie z.B. Eröten), sondern auch von unreflektiertem „trial and error“. Umso wichtiger ist es, gerade bei noch problemlöseunerfahrenen Lernenden dafür zu sorgen, dass diese während des Problemlösens immer wieder ihre Vorgehensweise reflektieren und ggf. korrigieren oder optimieren.
  3. Ein Mensch der handelt orientiert sich an Regeln und Konventionen. In unserer Gesellschaft sind für Handlungen bestimmte Vorgehensweisen vorgegeben, z.B. für den Bau eines Hauses oder das Gewinnen eines Volleyballspiels. Ähnliches gilt auch für fachspezifisches Problemlösen. Für die korrekte Anamnese, Diagnose und Therapie einer Blinddarmentzündung gelten genauso Regeln wie für das Erheben eines Forschungsstandes, die Planung einer Predigt, die morgendliche Pflege einer dementen Patientin oder die Planung und Auswertung einer empirischen Erhebung.
    Wichtig ist, dass die Lernenden diese Regeln und Konventionen kennenlernen (z.B. in dem diese als erforderlicher Schritt oder zu berücksichtigender Aspekt in die Problemlösestrategie integriert wird), aber auch, dass sie sich bewusst sind, dass sich diese Regeln und Konventionen ändern können. Im 18. Jahrhundert behandelte man eine Blinddarmentzündung mit Aderlässen, Klistieren und Blutegeln, der heutige Stand der Forschung ist, dass ein entzündeter Blinddarm entfernt werden muss, um eine wirkliche Heilung zu erzielen. Welche Problemlösestrategie in 30 Jahren der Stand der medizinischen Forschung sein wird, wissen wir noch nicht. Dementsprechend ist es wichtig, die Lernenden auf die Notwendigkeit des lebenslangen Lernens auch in Bezug auf fachspezifische Problemlösestrategien und die ggf. erforderliche Aktualisierung im Studium erlernter Problemlösestrategien hinzuweisen. 
  4. Ausgewählte Problemlösestrategien können in verschiedenen Kontexten unterschiedlich bewertet werden kann. Ein typisches Beispiel sind Zielsetzungen und entsprechende Problemlösestrategien in medizinisch sehr anspruchsvollen Situationen: ist die Herzoperation an einem Frühgeborenen eine herausragende Leistung, weil damit sein Überleben ermöglicht wird, oder ist es ein Hinzufügen von Leid, weil es wahrscheinlich in der Folge körperliche Einschränkungen hinnehmen muss, die es sein ganzes Leben begleiten werden? Ist der Entwurf von alternativen Nutzungsstrategien für leerstehende Kirchen eine hilfreiche Massnahme um Geld zu sparen und die Kirche im gesellschaftlichen Alltag (wenn auch in geänderter Form) präsent bleiben zu lassen, oder ein „Ausverkauf der Religion und dessen was ihr heilig ist?“ Ist ein Fachbuch wie Thomas Fuchs‘ „Das Gehirn – ein Beziehungsorgan“ (Fuchs 2008) die „umfangreichste und scharfsinnigste phänomenologische Auseinandersetzung mitneurowissenschaftlicher Forschung im deutschen Sprachraum» (Schick o.J., 5) oder ein Generalangriff auf die Hirnforscherinnen und Hirnforscher (Schmidt 2008)?
    Es ist wichtig für die Lernenden zu wissen, dass ihr problemlösendes Handeln von anderen sehr unterschiedlich bewertet werden kann, als genial oder blasphemisch, als innovativ oder regelverletzend, als methodisch besonders qualitativ hochstehend oder korrekt doch wenig aussagefähig.

Zur Kompetenz des Problemlösens gehört aufgrund der vier genannten Eigenschaften von Handlungen zwingend dazu, das eigene Tun begründen und die Verantwortung dafür übernehmen zu können, auch wenn andere Menschen diese Handlungen ggf. negativ bewerten werden.

Die Erfolg versprechende Bearbeitung komplexer Problemstellungen wird meist als rein kognitive Herausforderung angesehen. Das ist allerdings klar widerlegt worden (Dörner et al. 1983): experimentelle Untersuchungen zum Umgang mit komplexen Problemstellungen zeigen, dass gute Problemlösende auch über zielführende Einstellungen verfügen müssen.

Roland Müller (1984) fasst in seiner Zusammenfassung des Forschungsberichts «Lohhausen» die Kennzeichen guter Problemlöser:innen mit einem Akronym zusammen:

P positive Einstellung, probieren, planmässiges Vorgehen
O Offenheit, Optimismus
S Systemdenken, Selbstreflexion, Selbstsicherheit, Stabilität
I Informationsbeschaffung, intensive SUche, Interesse
T Tatkraft, Taktik
I Innere Abbilder, Integration, Input-Output beobachten
V Vertrauen, Vorsicht, Verantwortung

Als Lehrperson sollten Sie planen, wie die Lernenden diese Kompetenzen aufbauen und entsprechende Learning Outcomes erreichen können.