Variationsmöglichkeiten der Integration ins Curriculum
Sie haben viele Möglichkeiten, POL in einen Studiengang zu integrieren. Die nachfolgende Abbildung zeigt die wichtigsten Dimensionen, zu welchen Sie bewusste Entscheidungen treffen sollten. Diese sind untenstehend ausgeführt.
Lernen mit POL eher zu Beginn oder eher am Ende eines Studiengangs oder Moduls
POL kann zu Beginn eines Moduls oder Studiengangs eingesetzt werden. In diesem Fall bringen die Studierenden noch wenig Kenntnisse und Problemlösekompetenzen mit, sie werden also stark gefordert sein, viel Unterstützung sowie Zeit brauchen und ggf. keine fachlich hochwertigen Ergebnisse erzielen. POL zu Beginn eines Studiums kann aber frühzeitig einen Praxisbezug herstellen und das Interesse der Studierenden am Fach wecken. Es kann darüber hinaus auch den Sinn und Zweck von eher „lästigen“, abstrakt wirkenden oder für die Studierenden anspruchsvollen Lerninhalten wie Statistik, empirischen Methoden oder Techniken wissenschaftlichen Arbeitens aufzeigen und den Studierenden helfen, systematisch zu recherchieren und Qualitätskriterien für die Bewertung von fachlich relevanten Informationen zu entwickeln.
Wenn POL eher am Ende eines Studiengangs oder Moduls eingesetzt wird, können die Studierenden schon auf viele Kenntnisse und Kompetenzen zurückgreifen und erlernen jetzt „nur noch“ zusätzlich das Problemlösen auf der Basis dieser Kenntnisse. In diesem Fall ist das Ziel eher der Bezug der Kenntnisse auf die spätere Praxis und der Transfer von der Fachsystematik auf die Kasuistik der späteren Praxis.
In diversen Studiengängen wird POL auch vom Anfang bis Ende des Studiums oder zumindest einen längeren Zeitraum eingesetzt. In diesem Fall bietet es sich an, die Ausgestaltung des POL im Verlauf des Studiums anzupassen, d.h. zu Beginn ein vereinfachtes Procedere mit mehr Unterstützung vorzusehen und gen Ende ein differenzierteres mit mehr Flexibilitätsmöglichkeiten und Eigenständigkeit der Studierenden (s. z.B. die Pflegeausbildung am ZAG in Winterthur).
Es gibt auch die Möglichkeit, POL als einen Lernschritt hin zum praktischen Problemlösen einzusetzen: zu Studien- bzw. Modulbeginn arbeiten die Studierenden mit abgeschlossenen und komplett dokumentierten Fällen, bei denen die Lösungen bereits vorliegen, so dass sie diese nur nachvollziehen und beurteilen müssen, im Anschluss arbeiten sie mit POL und gen Ende des Studiums bzw. Moduls arbeiten sie mit dem beim POL erworbenen Procedere in realen Projekten in „Echtzeit“ und mit Mitverantwortung mit. In diesem Fall bietet es sich an, schon beim Falllernen mit einem zum späteren Projektlernen passenden POL-Procedere zu arbeiten und dies auch beim abschliessenden Projektlernen beizubehalten, damit die Studierenden nicht mit zu vielen unterschiedlichen Vorgehensweisen verwirrt werden.
Weniger Zyklen mit viel Zeit zur Problembearbeitung oder viele Zyklen mit verhältnismässig wenig Zeit zur Problembearbeitung
Die Studierenden können verhältnismässig wenige Problemstellungen bearbeiten und hierfür viel Zeit bekommen. In diesem Fall können die Studierenden bei den für die Problemstellung relevanten Themen in die Tiefe gehen und sich ausgehend vom Problem die fachlichen und interdisziplinen Vernetzungen der Themen erarbeiten. Sie können aber auch viele Problemstellungen in jeweils verhältnismässig kurzer Zeit bearbeiten (an der Universität Bern waren es bis 2019 jede Woche zweimal 45 min für eine Problemstellung]. In diesem Fall können sie viele verschiedene Problemstellungen kennenlernen, die ihnen später in der beruflichen Praxis begegnen werden, und sich das POL-Procedere als Routine aneignen.
Müller (2008, S. 23) leitet aus der Kognitionsforschung die Arbeit mit multiplen Problemstellungen ab: „Lernen mit einem Problem fördert den Transfer nur bedingt: für einen wirksamen Transfer sind multiple Probleme aus verschiedenen Anwendungsfeldern nötig (…). Massgebliche Vertreter von PBL fordern denn für ein nachhaltiges Lernen auch, dass im Rahmen des PBL-Lernprozesses verschiedene Problemstellungen bearbeitet werden müssen [...]".
Die Frage für Studiengangsentwickler/innen ist in diesem Kontext allerdings, welcher Transfer nur bedingt möglich sein soll: Der der Vorgehensweise der Problemlösung oder der der fachlichen Zusammenhänge.
Zeitliche Flexibilität für die Problembearbeitung oder klare, knappe Zeitvorgaben
Wenn Studierende insbesondere lernen sollen, Problemstellungen präzise zu analysieren und sich hinreichend zu informieren bevor sie zu einer Lösung kommen, wird man ihnen so viel Zeit zur Problembearbeitung geben, wie sie eben benötigen. Das bedeutet, dass im Modul bzw. Studiengang sowohl für die gemeinsame Diskussion der Problemstellung als auch für das Selbststudium hinreichend Zeit zur Verfügung gestellt werden muss. Wenn Studierende hingegen lernen sollen, Problemstellungen effizient und immer schneller zu bearbeiten, wird man ihnen knappe Zeitvorgaben geben und auch dafür sorgen, dass sie diese einhalten.
Andere Lehrveranstaltungen ins Problemlöseprocedere integriert oder nicht
Sollen bestimmte Informationen unbedingt zur Problembearbeitung verwendet werden, und zwar in einer Qualität, die seitens der Lehrpersonen garantiert wird, lohnt es sich, in den Zeitraum der Selbststudienphase entsprechende Lehrveranstaltungen obligatorisch vorzusehen. Sollen die Studierenden hingegen eigenständig recherchieren und die Qualität der gefundenen Informationen selber bewerten lernen, wird man keine derartigen Veranstaltungen vorsehen, sondern den Studierenden hinreichend Selbststudienzeit geben.
Explizite oder implizite Verbindung zu anderen Lehrveranstaltungen
Wenn Studierende die Informationen aus anderen Lehrveranstaltungen mit der Problemstellung vernetzen und für Bearbeitung der Problemstellung benutzen sollen, wird man als Studiengangsentwickler/in vorsehen, dass die Tutoren/innen des POL explizit auf die entsprechenden Veranstaltungen verweisen (auch wenn diese ggf. schon Jahre zurückliegen). Sollen die Studierenden hingegen selber Bezüge zu anderen Lerninhalten herstellen, wird der Tutor/die Tutorin beobachten, auf welche bereits im Studiengang oder Modul absolvierten Lehrveranstaltungen und Lernszenarien die Studierenden rekurrieren.
POL als zentrale Lernform oder Kombination mit diversen anderen Lernformen
Es gibt Module oder Studiengänge, in denen POL als primäre Lernmethode eingesetzt wird (z.B. Uni Maastricht). Hier ist entweder das Problemlösen eine der wichtigsten Abgangskompetenzen oder aber die Studiengangsentwickler/innen sind der Überzeugung, dass Menschen mit POL alles lernen können und dies auf eine wirksamere Art und Weise als mit anderen Lernmethoden. In diesem Fall ist es wichtig, dies gegenüber den Lernenden wie den Lehrenden von vorn herein offenzulegen, damit insbesondere solche Menschen in derartigen Studiengängen lernen und lehren, die bevorzugt problemorientiert arbeiten. Viele Studiengänge beinhalten POL eine Lernmethode neben diversen anderen Lehr-/Lernszenarien wie Vorlesungen, Seminaren, Übungen, skills labs, journal clubs oder Praktika. Derartige Studiengänge oder Module haben Problemlösen als eine unter diversen anderen, ähnlich wichtigen Abgangskompetenzen (z.B. peer reviewing wissenschaftlicher Untersuchungen oder psychomotorische Fähigkeiten). Und wahrscheinlich liegt ihnen ein Verständnis von Lernen zugrunde, demzufolge es unter den Studierenden unterschiedliche Lerntypen gibt, die unterschiedliche Lernpräferenzen haben, und dass unterschiedliche Formen von Learning Outcomes mithilfe unterschiedlicher Lehr-/Lernszenarien jeweils am besten erreicht werden können. Wichtig für derartige Studiengänge oder Module ist, dass für Studierende wie Dozierende definiert und transparent ist, welche Kompetenzen insbesondere in welchen Formen von Lehr-/Lernszenarien aufgebaut werden sollen.